So lautete ein Fazit unseres Keynote-Vortragenden Christopher Pollin beim diesjährigen DH-Tag unter dem Motto „Wissen schaffen. Geisteswissenschaftliche Workflows zwischen manueller Arbeit und Automatisierung“. Überraschend, hatte Pollin doch seinen Vortrag überschrieben mit „Wissen schaffen (lassen!?). Workflows mit Generativer KI in den Digital Humanities“.

Er verdeutlichte dabei, teilweise auch live, welche Arbeitserleichterungen durch KI in den Geisteswissenschaften bereits heute möglich sind. Ein Beispiel: Die Analyse der Reichskrone, deren Materialität im Projekt CROWN derzeit mit modernsten Mitteln untersucht wird. Pollin macht hier deutlich, wie die so ermittelten Daten mit Hilfe von Claude Sonett 3.5 und Artefact ausgewertet und grafisch dargestellt werden können. Fragen wie „Wie viele und welche Edelsteine gibt es auf der Reichskrone?“ oder „Gibt es Anzeichen für eine Wiederverwendung der Edelsteine?“ (Folie 4) lassen sich trotz der großen Datenmenge schnell beantworten.
Ein weiteres Beispiel ist Pollins Experiment zu Multi-agent frameworks: Verschiedene „Agenten“ kommen miteinander ins „Gespräch“, um beispielsweise aus einer Literaturliste ein Exposé und ein Inhaltsverzeichnis zu einer Forschungsfrage erstellen zu lassen. Dabei interagiert ein „Research Agent“ mit einem „Writer Agent“, einem „Research Expert Agent“, einem „Discussion Agent“ und einem „Evaluation Agent“, wobei sie ein „MarkdownMergeTool“ und das „ZoteroSearchTool“ nutzen (Folie 13). Zugrunde liegen die Tools crewai, AutoGen und LangGraph. Das erleichtert die ersten Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens möglicherweise, auch der benötigte Python-Code lässt sich so generieren, allerdings ist all das mit Vorsicht zu genießen und kritisch zu begleiten: Sind tatsächlich die relevanten Literaturstellen eingeflossen? Ist der Python-Code richtig? Bringt das Exposé die Forschungsfrage, Ansätze und Ziele der Arbeit auf den Punkt?

Ähnliches zeigt sich beim „Latin Inscription Translator“, der lateinische Inschriften auf Gebäude-Fotos erkennt, als TEI ausgibt und ins Deutsche übersetzt. Genutzt wird hier ChatGPT, teiModeler und teiCrafter; noch findet sich allerdings viel Halluzination, eine Überprüfung ist also auch hier angebracht. Sicherlich ein Fazit aus all diesen Beispielen, das unbedingt in die akademische Lehre einfließen muss. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach den Kosten des Ganzen: Wie sieht der ökologische Fußabruck aus? Ist er gerechtfertigt für das, was für die wissenschaftliche Weiterarbeit zur Verfügung steht?
Laut Pollin stellt sich diese Frage aber gar nicht mehr: „KI ist eine ‚Naturkatastrophe‘ nicht nur auf ökologischer Ebene, sondern die Entwicklung nimmt ihren Lauf und kann nicht gestoppt werden. Man muss mitmachen, ob man will oder nicht (wir sind auch in der Wissenschaft in einem kapitalistischen System; KI ist auch dort ein Wettbewerbsvorteil [so sehr einem das Herz blutet, das zu sagen])“ (Folie 23). So bleibt nur, das Zepter selbst in die Hand zu nehmen, Digital Humanities zu betreiben – aber dabei eben „kritisch bleiben und Werte einfordern – ethisch, ökologisch, gesellschaftlich, wissenschaftlich“, wie Pollin es zum Abschluss seines Vortrags (Folie 24) fordert.
In der folgenden Diskussion mit den 40 Teilnehmer*innen des DH-Tags vor Ort und den 90 Teilnehmer*innen in Zoom zeigte sich dies bereits, als es um die Nutzung von KI-Tools ging, zum Beispiel um die Frage, ob das Uni-GPT eine Alternative zu den Chatbots verschiedener Unternehmen ist. Auch die Frage nach Open Data und Open Source spielte eine Rolle; leider blieb es – aufgrund der Kürze der Zeit – bei einigen Schlaglichtern auf die immensen Fragen, die die Nutzung von KI im Bereich DH aufwirft. Zudem lohnt sich ein Blick in den Mitschnitt von Pollins Vortrag, denn natürlich bietet dieser Blog-Beitrag nur einen kleinen Ausschnitt aus der facetten- und kenntnisreichen Keynote.
Im weiteren Verlauf des DH-Tages stellten sich – wie bei jedem DH-Tag – die AGs des Arbeitskreises Digital Humanities Münster vor, um so die Vernetzung der Forschenden und Interessierten voranzutreiben und bestimmte Aspekte der Arbeit zu vertiefen. Das SCDH begleitet die AGs mit Mentor*innen und leistet hier „Hilfe zur Selbsthilfe“. Nach der Mitgliederversammmlung des Center for Digital Humanities und dem leckeren Catering kamen dann noch rund 35 Interessierte im Open Space zusammen und diskutierten erste Ideen zu einem Münsteraner DH-Studiengang, DH und KI in der Lehre, kollaborative Workflows und Dokumentation in DH-Projekten sowie Anforderungen an Archive von Seiten der DH.



Der eigentlich traditionelle Poster-Slam und die Postersession fanden dieses Jahr nicht statt – kein Wunder, ist doch der DH-Tag 2023 gerade mal ein gutes halbes Jahr vorbei. Das wird beim nächsten sommerlichen (!) DH-Tag 2025 sicher wieder anders sein, und man darf gespannt sein, was sich bis dahin bei den Digital Humanities in Münster getan hat.
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