Das Wichtigste in Kürze
Das Jahr 2022 war für die Digital Humanities am Standort Münster ein ereignisreiches. Wir hatten das Ziel, nicht nur den Alltag der Projektbetreuung, -beantragung und -begleitung aufrecht zu erhalten und auszubauen, sondern auch strukturelle Neuerungen – und wir möchten meinen: Verbesserungen – umzusetzen. Was haben wir geschafft? Zum einen ist es uns 2022 gelungen, das Pooling von Drittmitteln für die Software-Entwicklung umzusetzen. Damit werden viele Forschungsvorhaben überhaupt erst möglich. Zudem können wir die Stellen am Service Center for Digital Humanities (SCDH) auch überregional attraktiv ausschreiben.
Der zweite große Meilenstein im letzten Jahr war sicherlich der neue DH-Webauftritt. Er verbindet die diversen Knotenpunkte unserer DH-Landschaft miteinander. Schließlich konnten wir uns darüber freuen, dass mehrere Foschungsprojekte mit DH-Anteil bewilligt wurden. Und last but not least: Durch das Abklingen der Pandemie konnten wir uns auch wieder persönlich treffen und vernetzen.
Projekte ermöglichen und den DH-Standort Münster nach vorne bringen: das Poolingkonzept
Man kennt das: Ein interessantes und wichtiges Forschungsprojekt stellt sich nachhaltig auf und möchte daher die eigenen Forschungsprozesse digital gestalten. Im Projekt fallen Arbeiten der Software-Entwicklung an, man beantragt Mittel, das Projekt wird bewilligt, die Stelle für einen Research Software Engineer (RSE) wird ausgeschrieben und: Es bewirbt sich niemand oder die Stelle ist aus anderen Gründen nicht zu besetzen. Viele Projekte müssen mit dieser Situation umgehen und werden daher entweder direkt ohne Software-Entwicklung, Datenmodellierung, digitalen Analysemethoden etc. geplant, man plant immense Einarbeitungszeiten ein oder man vergibt externe Werkverträge, die in einen vordefinierten und nicht iterativen Prozess münden.
Befristete (Teilzeit-)Stellen sind für doppelt qualifizierte Research Software Engineers einfach nicht attraktiv, insbesondere wenn der Arbeitsort außerhalb der drei/vier Großstädte liegt, in denen diese Personen der guten Auftragslage wegen leben. Eine Stadt wie Münster hat hier leider einen Standortnachteil und muss RSE-Stellen anderweitig attraktiv machen.
Das an der Universität Münster nun erfolgreich umgesetzte Konzept des Personalpoolings schafft hier Abhilfe und wird sich als Enabler für digitale Forschungsvorhaben durchsetzen: Mittlerweile gibt es genügend drittmittelgeförderte Projekte in Münster, die Gelder für Softwareentwicklung zur Verfügung stellen können. Diese Gelder werden in einem Pool zusammengeführt und münden nun in eine erste unbefristete Poolingstelle für den Schwerpunktbereich Digitale Editionen. Für den Notfall hat das Rektorat eine Ausfallbürgschaft erteilt; es sieht derzeit jedoch so aus, als kämen eher weitere Poolingsstellen hinzu, als dass es zu Finanzierungsengpässen käme. Die Antragsfrequenz ist entsprechend hoch.
Wir sind damit in der Lage, hochqualifizierte Personen nach Münster zu holen, in das Team des SCDHs zu integrieren und Forschungsprojekte direkt (und ohne aufwändige Einarbeitungszeiten) auch punktuell über die gesamte Förderzeit hinweg zu begleiten. Forschungsprojekte mit geringem oder in getrennten Forschungsphasen benötigtem Softwareentwicklungsbedarf werden dadurch erst denkbar. Die Entwicklungsaufgaben in einzelnen Projekten sind zudem in der Regel so divers, dass es keine Personen gibt, die Expertise in allen diesen Aufgaben mitbringen. Das SCDH hat als Team die Möglichkeit, die unterschiedlichen Aufgaben auf mehrere Köpfe zu verteilen und somit den Forschungsprojekten immer die bestmögliche Unterstützung zu bieten: so dynamisch wie möglich und immer orientiert an den jeweiligen Bedarfen der Forschung.
Digitale Forschung fördern: bewilligte Forschungsprojekte mit SCDH-Beteiligung
Im vergangenen Jahr wurden mehrere Forschungsanträge bewilligt, bei denen das SCDH (teilweise substantiell mit eigenen DH-Konzepten) beteiligt war. Zuvorderst sind wir sehr stolz und freuen uns, beim dreizehnjährigen Akademieprojekt von Prof. Dr. Niko Strobach (Philosophie) „Heinrich Scholz und die Schule von Münster. Mathematische Logik und Grundlagenforschung“ mit digitalen Methoden durchgängig unterstützen zu können. Der an der ULB liegende (handschriftliche wie gedruckte) Nachlass von Heinrich Scholz wird vollständig digitalisiert, katalogisiert, maschinenlesbar gemacht, digital ediert und semantisch verknüpft.
Da wir als DH-ler*innen naturgemäß Fans von Alan Turing sind, sind wir schon ganz gespannt, die Briefe, die Scholz mit dem Erfinder des Computers gewechselt hat, bearbeiten zu dürfen. Bereits im Vorfeld des Projektes wurde in den Historischen Beständen der ULB eine umfangreiche Findliste des Nachlasses erstellt – eine wichtige Vorarbeit, an die nun angeknüpft werden kann.
Erfolgreich war auch der zweite Antrag im Langzeitprojekt „Edition des Gesamtwerkes von Ibn Nubātah al-Miṣrī (1287-1366)“ von Prof. Dr. Thomas Bauer und Prof. Dr. Syrinx von Hees (Arabistik), das bereits in der ersten Förderphase sehr eng mit dem SCDH zusammengearbeitet hat und nun maßgeblich durch die geschaffene Poolingsstelle im Bereich Digitale Editionen begleitet werden wird.
Schließlich waren noch zwei Dreijahresprojekte bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), bzw. der DFG und dem britischen Arts and Humanities Research Council (AHRC) erfolgreich, die wir durch das SCDH begleiten: Dr. Ines Weinrichs Projekt „Hindu-Muslim-Jewish Origin Legends in Circulation between the Malabar Coast and the Mediterranean 1400s-1800s“ (Arabistik) und PD Dr. Felicity Ann Jensz‚ Projekt „The Global Bible: British and German Bible Societies and missionary-led settler colonialism“ (Centrum für Religion und Moderne).
Schnelle Orientierung: neuer Webauftritt für die Digital Humanities an der Universität Münster
2022 war außerdem das Jahr der Öffnung und Zusammenführung diverser Informationskanäle. Dies war die Ausgangssituation: Die Internetseiten des CDH und des SCDH waren in die Jahre gekommen und bildeten nicht mehr die vielfältigen Aktivitäten und DH-Angebote in Münster ab. Informationen über den Arbeitskreis DH und seine AGs waren kaum zu finden und wenn man dann noch einen Überblick über Forschungsprojekte mit digitaler Methodik am Standort bekommen wollte, war man ziemlich verloren.
Das alles ist nun sehr viel besser und strukturierter zugänglich im neuen gemeinsamen und stringent geplanten DH-Webauftritt. Das Zusammenspiel vom CDH als Interessensgemeinschaft der Forschenden über das SCDH als Beratungs- und Begleitungsinstanz mit seinem Team von Research Software Engineers an der ULB, die einzelnen AGs im Kontext des Arbeitskreises und wie man bei ihnen mitmachen kann, ein Projektschaufenster, aktuelle Informationen und und und. Wir haben den internen Blog nun öffentlich zugänglich gemacht und berichten dort regelmäßig über DH-Neuigkeiten. Zudem ist das SCDH auf Twitter und Mastodon präsent, um sich gezielter auch mit der nationalen und internationalen DH-Community zu vernetzen.
Wir haben schon viel positives Feedback für den neuen Webauftritt bekommen und freuen uns natürlich jederzeit über weitere Rückmeldungen und Ideen zur Verbesserung. Das Projektschaufenster etwa hat noch große Lücken: Es gibt in Münster sehr viel mehr geisteswissenschaftliche Projekte, in denen digitale Forschungsmethoden zum Einsatz kommen, als auf der Seite derzeit sichtbar sind. Nehmen Sie gern Kontakt mit uns auf, wenn wir Ihr Projekt aufnehmen sollen.
Netzwerke ausbauen
An der Universität Münster gibt es derzeit keinen vollakreditierten DH-Studiengang, in dem regelmäßig Kurse von DH-Professor*innen angeboten würden. Eine niedrigschwellige (Zwischen-)Lösung konnte mit dem DH-Zertifikat gefunden werden, das im Wintersemester 21/22 zum ersten Mal angeboten wurde. Interessierte Studierende können studienbegleitend das Zertifikat erwerben, indem sie fächerübergreifend Kurse besuchen, die für das Zertifikat geöffnet wurden, und sich damit Kenntnisse in den Bereichen IT, DH und Praxis erarbeiten.
Die Erwartungen der Planer*innen des DH-Zertifikats wurden weit übertroffen und schon innerhalb des Jahres 2022 waren 50 Studierende für das Zertifikat angemeldet. Dieser Andrang zeigt in unseren Augen den großen Bedarf an Kenntnissen und Fähigkeiten im Bereich digitaler Forschungsmethoden auch und gerade beim akademischen Nachwuchs.
Neben den vom SCDH regelmäßig angebotenen Schulungen hat eben jener akademische Nachwuchs auch die Möglichkeit, sich im Rahmen der Arbeitsgruppen des Arbeitskreises DH mit Wissenschaftler*innen zu vernetzen, die sich hier über digitale Methoden austauschen und gemeinsam ihr Knowhow vertiefen. Diese direkte und niedrigschwellige Art der Zusammenarbeit in den AGs erweist sich als gute Möglichkeit, auf aktuelle Bedarfe der Forschung zu reagieren und sich disziplinübergreifend methodenorientiert zu vernetzen. Neben den Arbeitsgruppen zu den Themen 3D, Semantic Web, TEI, Texterkennung und Wissenschaftskommunikation haben sich 2022 zwei neue Gruppen konstituiert: Textanalyse und Geoinformationssysteme (GIS).
Gleichsam als krönender Jahresabschluss hat sich mittlerweile das Format des DH-Tages etabliert. 2022 fanden sich die Mitglieder des CDH unter dem Motto „Unboxing DH – wie generieren wir Wissen mit digitalen Methoden und Tools?“ zu verschiedenen Veranstaltungsformaten zusammen. Einen genaueren Bericht zum DH-Tag finden Sie hier.
Im Rahmen der CDH-Mitgliederversammlung bezeichnete der Sprecher des CDH Prof. Dr. Jan Keupp das SCDH als „das schlagende Herz der Digital Humanities am Standort Münster“. Und tatsächlich: Neben dem umgesetzten Poolingkonzept, den bewilligten Projekten, dem neuen Webauftritt, der Begleitung des Arbeitskreises, Planungen zur Entwicklung generischer DH-Dienste zur Konsolidierung projektübergreifender Synergieeffekte und der Organisation des DH-Tages hat das SCDH im vergangenen Jahr gut 65 Beratungsgespräche geführt und 16 neue Projekte beraten.
Was liegt vor uns?
Wir haben 2022 Strukturen geschaffen, die es uns ermöglichen, nachhaltig für die Zukunft zu planen. Ein zentrales Anliegen des SCDHs wird es sein, ein DH-Ökosystem zu konzipieren, in dem generisch einsetzbare DH-Dienste modularisiert und flexibel zu Workflows kombiniert eingesetzt werden können. Das übergreifende Ziel dabei ist und bleibt die Befähigung interessierter Forschender, souverän und kritisch mit digitalen Forschungsmethoden umzugehen.
Parallel dazu wird im CDH eine Digital-Humanities-Strategie entwickelt, um zukünftige Maßnahmen in einen größeren strategischen Rahmen einbetten zu können. 2022 war auch das Jahr, in dem die Aufbauphase des SCDHs an ihr Ende gekommen ist. Das Rektorat und die ULB haben die Jahre des Aufbaus massiv mit eigenen Mitteln unterstützt. Nun muss zukünftig ein Weg gefunden werden, wie die angebotenen Services dauerhaft refinanziert und weiter ausgebaut werden können. Die Blicke richten sich in dieser Hinsicht auch in Richtung der Fachbereiche, die im CDH zusammenkommen und deren Forschende die unterstützenden Infrastrukturen nutzen.
Klar ist, dass die nachhaltige digitale Transformation der geisteswissenschaftlichen Forschung nur gemeinsam gemeistert werden kann und sowohl in der Breite der Forschung verankert als auch durch dezidierte DH-Professuren vorangetrieben werden muss. Wie aktiv die Rolle sein wird, die der Standort Münster bei dieser Transformation spielt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Das Beitragsbild wurde erstellt unter Verwendung der Grafik #597817140 von Alex Darts – stock.adobe.com.
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