Packen wir die Black Box aus!

„Folge dem weißen Kaninchen!“ Das Logo der Veranstaltung spielte mit Assoziationen von Zaubertricks, Alice im Wunderland und Matrix …

Der vierte DH-Tag der WWU machte die Methodenreflexion zum Schwerpunktthema

„Seien Sie sich der Unterstützung des Rektorats gewiss!“, so lautete das Resümee von Prorektor Michael Quante in seinem Grußwort zum 4. DH-Tag der Digital Humanities (DH) an der Universität Münster am 05.12.2022. Die Community der DH-Forschenden nahm dies freudig zur Kenntnis und widmete sich unter diesen Vorzeichen ihrer jährlichen Zusammenkunft. Nach zwei Jahren konnte diese endlich wieder in Präsenz stattfinden und brachte gut 40 alte und neue Bekannte zum gegenseitigen Austausch und Vernetzen in den Räumlichkeiten des Exzellenzclusters Religion und Politik in der Johannisstraße zusammen.

Jan Horstmann als Leiter des Service Centers for Digital Humanities (SCDH) stellte in seiner Begrüßung die konkrete forschungsunterstützende Arbeit im Bereich Beratung und Softwareentwicklung vor, während der Historiker Jan Keupp als Sprecher des Centers for Digital Humanities (CDH) mit einer alten mechanischen Schreibmaschine im Gepäck die historischen Parallelen der Digitalisierung in den Geisteswissenschaften illustrativ aufzeigte. Jörg Lorenz, stellvertretender Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB), skizzierte den strategischen Rahmen, in welchem sich die DH an der WWU entwickeln. Er hob dabei die forschungsunterstützende Rolle der ULB für die DH hervor, aber ebenso die Entwicklung des agilen Forschungs- und Servicemanagements überhaupt.

Mit dem Schwerpunktthema „Unboxing DH – wie generieren wir Wissen mit digitalen Methoden und Tools?“ reflektierten die Wissenschaftler*innen diesmal ihr eigenes Tun auf sehr grundsätzliche Weise. Die Heidelberger Theologin Frederike van Oorschot machte den Anfang. Unter dem Titel „Neue Technik(en) – neue Wissenschaft?!“ hielt sie einen Keynote-Vortrag, der die gängige methodologische Kritik an den digitalen Geisteswissenschaften überblicksartig in sieben Thesen zusammenfasste. Ihre Präsentation finden Sie hier, den aufgezeichneten Vortrag hier.

Das Plenum lauscht dem Keynote-Vortrag von Frederike van Oorschot

Nicht die Technik ist das „Neue“, sondern die Forschungspraxis!

Die Heidelberger Theologin Frederike van Oorschot

Ihrer Einschätzung nach hat sich die aufgeregte Diskussion der letzten zehn Jahre zuletzt deutlich versachlicht. Sie habe in bestimmter Weise sogar zu einem Aufleben theoretischer Auseinandersetzungen geführt, der als „theoretical turn“ oder „Theorie-Frühling“ in den Geisteswissenschaften benannt wird. In der Interpretation der Referentin lassen sich die Aspekte der Debatten zu einer „Digitalen Hermeneutik“ fokussieren. Ihr Zwischenfazit: Es ist nicht die digitale Technik, die das „Neue“ in den Geisteswissenschaften ausmacht; auch nicht die Methoden und die Epistemologie. Was die von der DH geprägten Geisteswissenschaften transformiert, sei die Forschungspraxis selbst – insbesondere die wachsende Kollaboration, die methodische Transparenz sowie die stets mitgedachte „Open Science“. Obgleich es immer wieder zu professions- und wissenschaftstheoretischen Ambivalenzen und Friktionen kommt, sorge ein sozio-politisches Agenda-Setting dafür, das die digitale Forschung vor allem im Rahmen eines konventionellen Wissenschaftsparadigmas gefördert wird. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage der „Black Box“, die es ganz konkret zu entpacken gelte, ebenso thematisiert wie das grundsätzliche Problem der Objektivierbarkeit von Forschungsergebnissen. Einigkeit herrschte weitgehend im Wunsch nach standardisierten Workflows als Erfolgsbedingung für die zukünftige DH-Forschung.

Einer der festen Bestandteile jedes DH-Tages ist die Präsentation des Arbeitskreises Digital Humanities (AK DH). Dieser bildet den praktischen Kern der Selbstorganisation der DH-Community vor Ort. Nach einer Einführung von Immanuel Normann, Softwareentwicklungskoordinator am SCDH, gaben die Mentor*innen der zurzeit sieben Arbeitsgruppen des AK einen kurzen Einblick, was sie aktuell im Bereich 3D, GIS, Datenmodellierung, TEI, Textanalyse, Texterkennung und Wissenschaftskommunikation beschäftigt. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des Arbeitskreises DH.

Preis für die beste Poster-Präsentation: der Becher zum DH-Tag,

Was auch niemals fehlt bei den DH-Tagen, sind die Poster aktueller DH-Forschungsprojekte an der Universität Münster. Diese wurden zunächst im Schnelldurchgang während eines Posterslams durch die jeweiligen Forschenden präsentiert. Der SCDH-Softwareentwickler Mirko Westermeier offenbarte dabei eindrucksvoll seine Talente im Bereich Scientainment. Zunächst übten sich die Teilnehmenden des DH-Tags in der eindeutigen Votumsbekundung mittels lautem Applaus und weiteren Sympathiebekundungen; somit erhielten schließlich die Studierenden Markus Breyer und Dominic Eickhoff das Unikat des diesjährigen DH-Tag-Bechers für ihre Darbietung zum Thema „Digitale Erschließung der Koelhoffschen Chronik 1499“, einer Arbeit im Rahmen eines Seminars von Frau Carla Meyer-Schlenkrich. In der anschließenden einstündigen Postersession gab es für die Teilnehmenden ausreichend Gelegenheit, sich über die Forschungsarbeit der Kolleg*innen zu informieren und wieder in persönlichen Kontakt zu treten.

Andere Disziplinen besser verstehen

Die Podiumsdiskussion am Nachmittag griff dann das Schwerpunktthema „Unboxing DH“ wieder auf. Daria Hartmann, Sascha Hinkel, Felicity Jensz, Silvia Reuvekamp und Jan Vahrenhold diskutierten auf der Basis ihrer eigenen, durchaus unterschiedlichen Forschungserfahrungen bei der Anwendung digitaler Methoden: Während die einen über das Ausbleiben konkreter Drittmittel klagten, lobten andere die neuen Möglichkeiten – gerade im kollaborativen Austausch. So ändere sich auch die geisteswissenschaftliche Arbeit aufgrund der Abhängigkeit von Kolleg*innen mit entsprechenden Kompetenzen. Prof. Dr. Vahrenhold als Informatiker unter Geisteswissenschaftler*innen brachte einen deutlichen Kontrapunkt in die Diskussion: Befürchtungen der DH-Profis, die datengetriebene Forschung in den Geisteswissenschaften könne tendenziell zu einer verzerrenden Bestätigung von Vorannahmen führen, trat er mit dem Hinweis auf das Paradigma der Falsifizierbarkeit von Hypothesen entgegen. Die wissenschaftstheoretischen Unterschiede zwischen den Disziplinen wurden dann noch deutlicher, als der Literaturwissenschaftler Jan Horstmann die Plausibilität als Geltungsbedingung von Argumenten vertrat. Insgesamt zeigten die Diskutierenden auf dem Podium wie im Publikum geradezu performativ, wie wichtig der Austausch zwischen den Wissenschaftstraditionen ist – aber auch die vertrauensvolle und offene Kollaboration sowie überhaupt der Wille, sich zu verstehen.

Podium: v.l.n.r.: Jan Vahrenhold, Silvia Reuvenkamp, Jan Horstmann (Moderation), Katrin Steiner (Moderation), Sascha Hinkel, Felicity Jensz, Daria Hartmann.

Keynote, Poster und Vorträge des DH-Tages 2022 sind dokumentiert und nachhaltig referenzierbar auf Zenodo.

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